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Warum Hochsensible Kritik oft persönlich nehmen

Und warum Hochsensible für ihre Überzeugungen einstehen sollten

Frau, die alleine und deprimiert auf einer Bank sitzt

Kürzlich war ich einer für mich sinnfreien und wenig erbaulich formulierten Kritik ausgesetzt. In dem Moment spürte ich, dass da noch ein kleines verletztes Mädchen in mir wohnt, das mit der Überzeugung zu kämpfen hat, nicht gut genug zu sein. Einer Überzeugung, die ich auch von anderen Hochsensiblen kenne.

 

Nehmen wir Hochsensible also Kritik persönlich, weil wir mit einem angeknacksten Selbstwert durch die Welt gehen? Oder liegt das an unseren hohen Ansprüchen, an unserem Hang zum Perfektionismus oder an unserem Harmoniebedürfnis?

 

Kritik als Druck-, Macht- und Manipulationsmittel

Ich gestehe: Ich bin nicht sonderlich kritikfähig. Mit Kritik habe ich keine guten Erfahrungen gemacht. Schon in der Schule wurde selten gelobt, dafür umso mehr kritisiert. Und das, obwohl ich eine ganz gute Schülerin war. Aber all mein Bemühen schien irgendwie nie auszureichen, nie zu den wirklich guten Noten zu führen.

 

Gefühlt habe ich in meinem Leben alle Formen von Kritik kennengelernt. Kritik als Druckmittel, Kritik als Machtinstrument, Kritik aus Angst oder aus Prinzip, manchmal auch "konstruktive" Kritik. Die war dann in freundliche Worte gekleidet und bunt angemalt. Fand ich aber auch nicht sonderlich zielführend. 

 

Kritik, die nicht auf Augenhöhe daherkommt, die nicht respektvoll und wertschätzend formuliert ist, liegt mir einfach schwer im Magen. Sie macht mich wütend. Bis vor kurzem noch aus ganz persönlichen Gründen, weil ich meine Überzeugungen "Du bist nicht gut genug!" Und "Du musst dich mehr anstrengen!" noch nicht vollständig ad acta gelegt hatte. Auch ein wenig aus Angst vor der für mich so aufwühlenden Konfrontation. Und nicht zuletzt auch ein bisschen aus Prinzip, denn ich finde diese Machtspielchen einfach unterirdisch und der heutigen Zeit nicht mehr angemessen. ;-) 

 

Selbstbeschau oder Mut zur Konfrontation?

Immer wenn sich heftige Wut gepaart mit Hilflosigkeit, Kampflust oder Fluchtreflex bei mir einstellen - was bei Kritik häufig passiert - weiß ich: Da ist ein sehr alter wunder Punkt, eine alte Verletzung in mir berührt worden. Und so aufwühlend diese Situationen für mich auch sein mögen, in Sachen Selbstbefreiung sind sie Gold wert. Denn ist die alte Verletzung erst einmal erkannt, zeigen sich auch die aus der Verletzung erwachsenen, meist unzuträglichen Überzeugungen und Vermeidungsstrategien. Und die lassen sich, sofern sie nicht mehr dienlich sind, herrlich leicht auflösen und durch zuträgliche Überzeugungen ersetzen. Wie das geht, erfährst du in meinem E-Book "Lebe frei!". 

 

Doch in der eingangs genannten Situation spürte ich ganz deutlich, dass es einmal nicht darum ging, nur mich selbst zu beleuchten und den "Fehler" bei mir zu suchen (wie das sehr viele Hochsensible in Konfliktsituationen tun). In dieser Situation fühlte ich mich aufgerufen, für Authentizität, Ehrlichkeit und Augenhöhe einzustehen. Und mein Herz sagte mir, dass ich damit mir und allen Beteiligten sehr viel mehr dienen würde, als mich wie gewohnt zurückzuziehen, mich selbst zu beleuchten und "an mir zu arbeiten". 

 

Doch nicht alles, was mein Herz sagt, fällt mir leicht. Mich bewusst einem Konflikt auszusetzen und mich klar zu positionieren, wohlwissend, dass mein Gegenüber um sich treten wird, ist eine echte Herausforderung für mich. Denn eine solche Auseinandersetzung hallt lange unangenehm in mir nach und raubt mir bisweilen den Schlaf.

 

Und doch glaube ich, dass es ungemein wertvoll ist, wenn wir Hochsensible ab und an - dann, wenn wir uns kraftvoll genug fühlen - für unsere Werte des achtsamen Miteinanders einstehen. Gegenwind hin oder her. Denn meinem Empfinden nach sind Hochsensible die perfekten Botschafter für ein neues Miteinander auf Augenhöhe. Sie können besonders gut vermitteln, wie das geht und worum es dabei geht.

 

Verbesserungsideen statt Kritik

Wie funktioniert nun so ein Miteinander auf Augenhöhe? Für mich ist es immer dann möglich, wenn diese alten, oben genannten Formen der Kritik ersetzt werden durch Verbesserungsideen. Wenn mich jemand an Bord nimmt und sagt: "Du, ich hab mir da was überlegt, wie wir gemeinsam ... noch besser machen können. Bist du dabei? Das und das ist meine Idee, was hältst du davon?" Dann bin ich eigentlich immer Feuer und Flamme.

 

Und auch persönliche Verbesserungsvorschläge nehme ich sehr gerne auf. Wenn mir jemand auf Augenhöhe begegnet und sagt: "Du, mir ist aufgefallen, dass dies und das immer unerledigt bleibt und mich das stresst. Ich wünsche mir das für die Zukunft so... Oder was meinst du, wie wir das am besten lösen können?" dann bin ich ebenfalls sofort mit an Bord.

 

Der Ton macht bei mir die Musik. Begegnung auf Augenhöhe braucht es, Wertschätzung, Respekt. 

 

Wie sieht es bei dir aus? Würdest du dich als kritikfähig bezeichnen? Oder zählst du eher zu den empfindsamen Seelen, bei denen der Ton die Musik macht? Wann kannst du Kritik gut annehmen und wann nicht? Und wann bist du bereit, für mehr Augenhöhe einzustehen?

 

Ich bin gespannt, von dir zu lesen.

 

Lebe deine zarte Stärke!
Alles Liebe, deine Inga

 

 

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Kommentare: 4
  • #1

    Tami (Montag, 25 November 2019 14:43)

    Liebe Inga,

    wie so oft hast Du mir mal wieder aus der Seele geschrieben. So geht es mir auch. Inzwischen ergeht es mir übrigens auch bei Kritik an meinem Kind so. Ich habe für mich festgestellt, dass der Ton, wie Du es so schön geschrieben hast, für mich sehr wichtig ist. Wenn der Ton stimmt, dann kann ich relativ gut damit umgehen. Danke für den schönen Artikel.

    HERZ-Grüße
    Tami

  • #2

    Claudia (Samstag, 14 März 2020 19:26)

    Ich finde mich auch 1:1 in dem Artikel wieder! Der Ton ist das Entscheidende wenn Kritik vorgebracht wird! Ich bin jetzt 51 Jahre und die Empfindlichkeit und das raushören der Zwischentöne ist ausgeprägter geworden je älter ich werde. Ich muss aber auch sagen, dass der Umgangston unter den Menschen rauher geworden ist. Sicherlich geschuldet durch die Schnelllebigkeit unserer Zeit und dem daraus resultierenden Stress und dem Leistungsdruck.
    Mein Fluchtreflex ist gewachsen und wenn ich merke, ich stoße auf wenig Verständnis bei dem ein oder anderen Mitmenschen, dann ziehe ich mich lieber zurück als mich zu verbiegen und meinen Ärger zu unterdrücken. Ich habe keine Horde Freunde aber dafür einige sehr gute und enge Freundschaften. Liebe Grüße an alle.

  • #3

    KaTa (Dienstag, 14 Juli 2020 14:35)

    Liebe Inga,

    Ich bin sehr froh, das ich über deinen Artikel gestolpert bin. Du sprichst mir wirklich aus der Seele. Und es erleichtert mich ungemein, das ich mit diesen Gefühlen nicht alleine dastehe. Ich dachte immer, es liegt an mir...
    Mir geht es ein bisschen wie Claudia mit diesem Fluchtreflex, aber da ich jetzt weiß, das es einfach in meiner Natur liegt, kann ich schon viel besser damit umgehen.
    Vielen Dank für deine Worte.

    Liebe Grüße, Kata

  • #4

    Inga Dalhoff (Donnerstag, 16 Juli 2020 16:48)

    Liebe Claudia, liebe KaTa,

    danke für das Teilen eures Empfindens.

    Es klingt so, als hättet auch ihr euch entschieden, euer Licht und eure Energie dort zu verströmen, wo es / sie willkommen ist. Die eigene Energie zu schonen, in dem ihr eure Freunde achtsam wählt. Wunderbar!

    Alles Liebe, eure Inga