Wenn Geräusche anstrengend oder gar schmerzhaft sind

Als ich vor einigen Jahren in einer Fortbildung saß, fragte der Seminarleiter nach einer Weile, wer von uns Teilnehmern das Lüftungsgeräusch des Beamers hören würde. Da mir dieses Geräusch schon eine ganz Zeit lang unangenehm aufgefallen war, schnellte mein Finger in die Höhe. Zu meiner großen Überraschung blieben die Finger fast aller anderen Teilnehmer unten. Und von denjenigen, die das Geräusch wahrgenommen hatten, war ich die einzige, die es als nervig empfunden hatte. An diesem Fortbildungstag hörte ich das erste mal vom Phänomen des Hyperakusis. Was es damit auf sich hat und was es mit Hochsensibilität zu tun hat, liest du in diesem Artikel.
Warum viele Hochsensible so picky mit Geräuschen sind und sich nach Stille sehnen
Mit Geräuschen war ich schon immer picky. Während mich Vogelgesang und harmonische Musik in Entzücken versetzen können, empfinde ich disharmonische (Dauer-) Geräusche moderner technischer Errungenschaften als nervenaufreibende Zumutung. Lüftungsgeräusche meines Rechners, Straßenlärm, das Fiepen des Dimmers unseres Deckenfluters, das Gepiepse des Marderschrecks am Auto, das Brausen der Heizung können mich je nach sonstiger nervlicher Belastung ganz schön herausfordern. Auch schrille, herausstechende Geräusche und Mitmenschen, die mit einer unangenehm durchdringenden Stimme ausgestattet sind, empfinde ich als überaus anstrengend.
Und wenn ich in einem lauten Café sitze, in dem sich andere so richtig wohl fühlen, bin ich nach 30 Minuten "durch". Erschöpft von dem Versuch, mich ganz auf meinen Gesprächspartner zu konzentrieren. Denn ich habe Schwierigkeiten damit, alle anderen Geräusche und Sinnesausdrücke weitestgehend auszublenden und mich auf mein Gegenüber zu fokussieren.
Hinzu kommt, dass ich Klänge mit Farben und Gefühlen verbinde (Synästhesie). Die meisten von Technik verursachten Geräusche hinterlassen in mir einen grauen und eher deprimierenden Farbmix, der mich zusätzlich zu den als unangenehm empfundenen Geräuschen nicht gerade für sie einnimmt. Und herausstechende Geräusche empfinde ich z.B. als spitz oder schmerzhaft scharf. Umso schöner ist für mich Vogelgesang, der einen herrlich bunten und herzberührenden Farbteppich in mir ausrollt.
Und auch, wenn ich nur von wundervollen, bunten und schönen Geräuschen umgeben bin, ist die Sehnsucht nach Stille, nach Erholung für meine Ohren immer da. Deshalb liebe ich nicht nur meine kuschelige, ruhige Wohnung, sondern auch den Schnee. Denn der überzieht nicht nur die winterliche Landschaft mit wunderschönem, unschuldig weißem "Glitzer", sondern schenkt mir auch eine überwältigende, entspannende "Geräuschdimmung". Dazu eine dicke, warme Mütze, energisch über die Ohren gezogen und fertig ist meine, endlich angenehme Welt der Geräusche.
All dieses intensive, "vielsinnige" Empfinden von Geräuschen hielt ich für normal. Ich kannte es nicht anders. Allerdings wunderte und wundere ich mich sehr darüber, wie andere Menschen mit all den Alltagsgeräuschen zurechtkommen, sogar in Großraumbüros konzentriert zu arbeiten scheinen. Dann erfuhr ich von meiner Hochsensibilität und fand darin eine Erklärung für meine Feinhörigkeit. Und bei oben erwähnter Fortbildung hörte ich das erste Mal von Hyperakusis und fand eine zweite Gruppe von Menschen, denen ich mich zugehörig fühlte.
Wo hört Hochsensibilität auf und wo fängt Hyperakusis an? - Definitionsversuche
Als Hyperakusis beschreibt man eine krankhafte Überempfindlichkeit gegenüber Schall, der von den meisten Mitmenschen noch nicht als unangenehm laut empfunden wird. Wird das Hören zusätzlich als schmerzhaft empfunden, bezeichnet man dies als Hyperakusis dolorosa.
Als hochsensibel gelten Menschen, die über ihre verschiedenen Sinnesorgane mehr Reize wahrnehmen als die meisten ihrer Mitmenschen.
Diese beiden Definitionen legen für mich den Rückschluss nahe, dass die meisten Hochsensiblen zur Feinhörigkeit, Hellhörigkeit oder unter Stress auch zum Hyperakusis neigen. Dass aber längst nicht alle Hyperakusisbetroffene auch hochsensibel sein müssen.
Dennoch fällt es mir schwer zu erkennen, wo Hochsensibilität aufhört und eine "krankhafte" Überempfindlichkeit gegenüber Schall beginnt. Wer mag dies auch festzulegen. Wichtiger erscheint mir die Erkenntnis, dass ein jeder Mensch ein sehr individuelles Hörvermögen hat, das sich zusätzlich unter Stress verändern kann. Dass die Einen Flöhe husten hören, während sich Andere ganz gelassen neben den Presslufthammer oder neben die Box in der Diskothek stellen können, ohne mit der Wimper zu zucken. Dass ein jeder selbst entscheiden sollte, wann das für ihn gesunde Maß an Geräusch erreicht ist, und ab wann Stress und Schmerz beginnen.
Und so scheint es auch im Verantwortungsbereich eines jeden einzelnen zu liegen, gut für seine Ohren zu sorgen und sich wenn möglich nur im stimmigen Maße Geräusch zuzumuten. Sehr willkommen wäre mir allerdings, wenn Arbeitsplätze, Autos, Motorräder und technische Geräte jeder Art geräuscharm gestaltet würden. Und einfach herrlich wäre es für mich, wenn ein jeder Mensch lernt, seine Stimme bei Bedarf etwas zu dimmen. ;-)
Die WHO weiß zu berichten, dass ein Zuviel an Geräusch zu Konzentrations- und Schlafstörungen (ab 25 Dezibel) führen und ab 85 Dezibel krank machen kann. Klar ist aber auch, dass das Zuviel an Geräusch trotz aller Versuche Normwerte zu finden, für jeden individuell definiert zu sein scheint und auch von der individuellen Tagesform und den sonstigen nervlichen Herausforderungen abhängt.
Warum Hellhörigkeit ein Geschenk für Hochsensible & ihre Liebsten ist
An der richtigen Stelle eingesetzt, ist mein feines Gehör natürlich ein großes Geschenk. Denn ich höre an der Stimme meiner Liebsten und meiner KlientInnen meist sofort, wenn es ihnen nicht gut geht. Ob ihre Äußerung wahrhaftig ist oder lediglich einer ihrer Überzeugungen nicht aber ihrem Herzen entspricht.
Und so erlebe ich sehr viele Hochsensible: Sie haben ein superfeines Gehör und die Fähigkeit äußerst intensiv und liebevoll zuzuhören. Der Seele und dem Herzen des Gegenübers zu lauschen und genau zu erkennen, wann Wahrhaftigkeit und Authentizität im Raum sind und wann nicht. Welch ein Geschenk!
Meine Tipps für die Erholung deiner Ohren
- Nimm Ohrstöpsel oder einen vom Hörgeräteakustiker angepassten Gehörschutz
mit zum Tanzen oder zu lauten Konzerten - Teste, ob dir Stille produzierende Kopfhörer taugen (noise cancelling Kopfhörer), ich empfinde sie als unangenehm
- Versorge dich im öffentlichen Raum mit angenehmen Klängen (z.B. über schöne Musik per Kopfhörer)
- Gönne dir täglich viel Stille
- Meditiere (meine Anregungen dazu findest du hier)
- Beschenke deine Ohren mit deinem Dank für ihr fleißiges Wirken
- Entspanne, denn unter Stress werden alle Sinnesorgane in "Alarmbereitschaft" und erhöhte Aktivität versetzt
Lebe deine zarte Stärke und erfreue dich an deinem feinen Gehör!
Alles Liebe, deine Inga
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Viktoria Sibylle (Montag, 24 Februar 2020 10:09)
Hallo.
Danke für den Artikel! Bin als Hochsensible und wohl Hörsensible gerade in großer Not und Schlafmangel wegen eines tieffrequenten Brummen einer Luftwärmepumpe in der Nachbarschaft. Tut soooo gut zu wissen dass es dir auch so geht. Hier in meinem Haus bin ich die Einzige die alles und dieses Brummen hört. Habe schon an mir gezweifelt. War schon beim Ohrenarzt - höre exzellent und kein Tinitus! Dein Artikel spricht mir aus der Seele! Habe jetzt viel zu tiefen Tönen gelesen. Muss wahrscheinlich sogar wegziehen!!! Aber habe einen Tipp von einem Akustiktechniker erhalten den ich hier teilen möchte:
Man muss eine 2. Gegenquelle von tieffrequenten Geräusch in den Raum nehmen z.B Zimmerbrunnenpumpe oder Aquariumpumpe. Damit kann ich mein Gehör überreden diesen 2. Ton zu hören und kann das Leiden das der andere Ton auslöst, lindern und schlafe ein!
GLG an alle Hochsensiblen
Inga Dalhoff (Montag, 24 Februar 2020 11:47)
Liebe Viktoria Sibylle,
herzlichen Dank für deinen Tipp! Der ist sicherlich wertvoll für viele Hochsensible oder Hyperakusis-Betroffene!
Alles Gute und entspannte Zeiten, deine Inga
Natascha Gloddeck (Sonntag, 17 April 2022 11:36)
Es tut gut deine Zeilen zu lesen...die synästhesie teile ich zwar nicht, aber dafür alles andere. Ich habe mich in diese ganzen Themen mit der Zeit auch eingelesen. Es ist faszinierend, wenn man von Fachärzten immer wieder mit auf dem Weg bekommt, dass man sich anpassen muss und dass Stille und Abschottung an gestressten Tagen völlig kontraproduktiv sind. Ich lebe damit seit ich denken kann. Ich brauche nicht nur gelegentliche auszeiten von den Geräuschen, sondern auch von Menschen, denn ich nehme jede unwucht im seelischen Gleichgewicht wahr und mein Gehirn fängt automatisch mit einer Analyse an.....was belastet.
Ich für meinen Teil helfe mit oft mit inear-kopfhörern im Alltag mit angenehmer Musik. Meeresrauschen zum einschlafen über eine Box, denn das übersteuert alles andere in der Wohnung bzw. Nachbarschaft.
Dein Artikel ist ganz großartig! Danke! Ich fühlte mich beim Lesen dadurch endlich mal völlig verstanden.
Liebste Grüße
Inga Dalhoff (Montag, 18 April 2022 15:43)
Liebe Natascha,
ich danke dir von Herzen für deine Nachricht und freue mich sehr, dass du dich in meinem Artikel wiedergefunden hast. Auch ich empfinde es immer wieder als wertvoll, auf Menschen zu treffen, die das Leben aus einem ähnlichen Blickwinkel betrachten und ähnliche Herausforderungen zu meistern haben. Das schenkt ein Gefühl von Verbundenheit und Verstandensein und schenkt mir oft eine Art Erlaubnis, so sein zu dürfen wie ich bin.
Ich wünsche dir, dass du ganz bei dir bleiben und voll und ganz deinem Weg folgen kannst, egal was Fachärzte sagen. :-)
Alles Liebe, deine Inga